Sebastian erzählt von seiner Fahrradtour und dem Aufeinandertreffen mit Charline:
„Sonntag, der 19. November 2023, strahlend blauer Himmel und warme Temperaturen. Gut gelaunt fuhr ich eine Nebenstrecke von Korinth zum antiken Nemea, und sah auf der Straße vor mir einen Hund.
Als mich der Hund entdeckte verschwand er fluchtartig unter einem Zaun hindurch in sein Versteck. Ich hielt an und versuchte ihn mit Pfiffen und Rufen anzulocken, was nicht zum Erfolg führte. Er schien total verängstigt zu sein, wie so viele Straßenhunde, die ich auf meiner Reise traf. Zwei große Bratwürste befanden sich noch in meinen Vorräten, und für einen Moment überlegte ich ob ich dem Hund eine hinwerfen sollte, oder ob ich einfach weiterfahre, wenn er schon nicht auf meine Rufe reagiert.
Ich probierte es. Auf das erste Stückchen Wurst, welches neben seinem Versteck landete, reagierte der Hund aber nicht. Er blieb in seinem Versteck. Gut, das wird etwas mehr Arbeit werden, dachte ich mir. Also warf ich noch ein Stück hin, und entfernte mich etwas. Langsam kam der Hund dann heraus, schnüffelte, und fand die Wurst. Als ich ihm dann wieder ein Stück hinwerfen wollte, zuckte er zurück und versteckte sich wieder.
Ich musste ihm also erst einmal beibringen dass ich keinen Stein nach ihm werfe und keine Gefahr für ihn bin. Bewegte ich mich nämlich, sprang er zurück. Also hockte ich mich hin, warf Stück für Stück die Wurst immer kürzer, und der Hund kam langsam immer näher. Bis ich keine Wurst mehr hatte. Doch er umrundete mich und schnüffelte. Ich strecke die Hand, die nach Wurst roch, langsam zu ihm hin. Und dann fasste er Vertrauen und ließ sich streicheln.
Es war eine Hündin, und ich taufte sie „Charline“ in Anlehnung an den ersten Familienhund meiner Kindheit, Charlie.
Nun, Charline wich mir nicht mehr von der Seite. Ich setzte meinen Weg fort, und sie lief neben mir her, immer nach mir schauend. Hielt ich an, hielt sie auch an. Wir erreichten das antike Nemea und ich wollte beim Tempel des Zeus schnell Fotos machen. Zu meinem Erstaunen ging Charline neugierig und mit dem Schwanz wedelnd zu den anderen Menschen hin. Als hätte sich bei Ihr ein Schalter umgelegt.
Nur leider hatte ich weder ein Halsband, noch eine Hundeleine, und somit die Herausforderung den Hund auch wieder einzufangen. Aber sie entfernte sich nie allzu weit, und kam auch immer wieder angelaufen.
Wir fanden dann einen Schlafplatz vor der großen Kirche. Mein einziges Handtuch wurde zur „Hundedecke“, und meine kleine Bratpfanne wurde ein Hundenapf. Die Nacht war lang und kalt. Charline schlief neben mir auf der Daunendecke, die ich in solchen Nächten über meinen Schlafsack legte. Zusätzlich legte ich ihre Hundedecke über sie. Am nächsten Morgen stand uns dann die erste große Herausforderung bevor.
Wir mussten aus dem Dorf wieder heraus!
Voller Tatendrang brachen wir auf. Ich wollte auf direktem Wege zur Hauptstraße. Im Dorfzentrum ging plötzlich lautes Gekläffe los. Ich blickte nach hinten, und sah Charline, wie sie sich, von zwei großen Straßenhunden belagert, zwischen einen Abfallcontainer und einer Mauer presste. Ich stieg vom Fahrrad runter und vertrieb die Hunde. Doch viel weiter sind wir auch dann nicht gekommen, weil dann folgten die Hofhunde. Charline flüchtete gleich in das nahe gelegene Cafe. Rufen konnte ich sie nicht, ein Stück weitergehen, in der Hoffnung sie kommt dann hinterher gelaufen, ging auch nicht. Sie hatte zu viel Angst vor den Hunden, die zwar den Eindruck machten sie würden uns auffressen wollen, aber hinter einem robusten Tor gefangen waren.
Also schaute ich kurz auf die Karte und beschloss in die entgegengesetzte Richtung zu gehen und einen Umweg in Kauf zu nehmen.
Diese Idee war noch schlechter!
Kaum waren wir vielleicht hundert Meter die Straße hinauf gegangen, tauchte die „Straßengang“ auf, und wir wurden von allen Seiten angekläfft. Charline, mutig wie sie war, presste sich in der Hoffnung auf Unsichtbarkeit gegen eine Mauer. Der lauteste und aggressivste Hund des Rudels wollte dann auch an Charline ran. Ich schob mein Fahrrad ein kurzes Stück in eine andere Nebenstraße, griff mir einen großen Stock, ging auf diesen Kläffer zu und drohte ihm, dass es keine gute Idee ist wenn er meinen Hund anrührt.
Die Nebenstraße war dann zum Glück ruhig, doch kurz vor dem Ende des Dorfes kamen wieder die Hofhunde. Letztendlich musste ich Charline aus dem Dorf hinaustragen.
Wir zogen dann weiter nach Mykene. Was auch kein Spaß war, denn die zehn Kilometer bis dahin mussten wir weitestgehend über die Bundesstraße zurück legen. Glücklicherweise hielt sich der Verkehr in Grenzen und die Auto und LKW Fahrer waren sehr rücksichtsvoll. Ich fuhr so langsam wie es ging und versuchte immer darauf zu achten dass Charline zwischen mir und dem Straßenrand lief.
Erschöpft von dem Stress kamen wir in Mykene an, und ich beschloss in einem etwas gehoben aussehendem Restaurant, welches zwei flache Wasserbecken vor dem Eingang hatte, etwas zu Mittag zu essen. Ich hatte nicht aufgepasst, und hörte nur ein „Platsch!“, da stand Charline in einem der Becken drin!
Ich ging rein, zerzaust und verschwitzt, und bestellte bei der ersten netten Bedienung eine Kleinigkeit. Als ich ihr draußen dann sagte, dass Charline ein Straßenhund ist, schien sie uns warum auch immer nicht mehr bedienen zu wollen. Die zweite Bedienung war viel gelassener, und als ich fragte ob sie vielleicht Reste in der Küche für meine Kleine hätten, kam sie mit einer Dose Hundefutter wieder.
Im Anschluss wollte ich dann im Supermarkt im Nachbardorf die Vorräte auffüllen. Das Problem war nur, Charline wollte mit rein, durfte es aber nicht. Mit einem kleinen Snack konnten wir sie kurz beschäftigen während ich schnell einkaufte. Sie wartete dann „versteckt“ hinter meinem Fahrrad. Darauf konnte ich mich in den folgenden Tagen immer verlassen. Sie lief nicht einfach weg, wenn ich mal außer Sichtweite war. Sie wartete immer an meinem Fahrrad.
Für die Nacht fand ich, nicht weit entfernt, eine Kapelle mit einem Dach, die auf einem kleinen Hügel inmitten einer Oliven-Plantage lag. Auf dem Weg dorthin war mein kleiner Hund plötzlich von drei großen Hunden umstellt. Dieses Mal hatte ich gleich einen großen Stock griffbereit.
Als ich später dann unter dem Dach der Kapelle den Schlafplatz einrichten wollte, musste ich Charline mehrmals von der Isomatte und meinem Schlafsack herunter heben. Während sie dann in der sternenklaren Nacht seelenruhig neben mir schlief, hatte ich mit dem Gedanken zu kämpfen dass ich sie auf meiner Tour nicht behalten kann.
Ich hatte die Nacht kaum geschlafen, war morgens fix und fertig und mir wurde auch etwas übel. Nachdem ich zwei platte Reifen gewechselt hatte, beschloss ich die kurze Strecke nach Mykene zurück und zu einem geschlossenen Campingplatz zu fahren, dessen Tor offen stand.
Und wir hatten soviel Glück mit den Menschen dort!
Der Betreiber des Campingplatzes, der nebenbei eine Plantage betreibt, kümmerte sich selber um Straßenhunde und hatte viel Verständnis für unsere Situation. Charline konnte er selber nicht behalten, auch wenn er es wohl gerne gewollt hätte. Doch er hatte die Telefonnummer einer Hundeauffang-Station in der Nähe.
In der Zwischenzeit versuchte ich Charline das „Sitz“ beizubringen, was nach dem siebenunddreißigstem Mal auch ohne Bestechung klappte. An Katzen konnte ich sie zumindest einigermaßen gewöhnen. Der Versuch jedoch, Charline mittels eines Seils und einem aus einem alten Fahrradschlauch und Kabelbindern improvisiertem Geschirr festzubinden, hielt keine fünf Minuten. Und ich konnte sie auch kaum davon überzeugen, außerhalb meines Zeltes zu schlafen.
Charline wurde dann am 22.11.2023 vom Tierschutzverein abgeholt. Mich traf es in dem Moment weniger dass ich mich von meiner Kleinen trennen musste, sondern viel mehr sie vor Angst wie versteinert in einem Käfig zu sehen, nicht wissend was ihr gerade geschieht.“
Durch Sebastians Kontaktaufnahme mit unserem Verein kam Charline in unser Tierheim in Nafplio. Natürlich war es für die süße Maus erstmal ein Schock, mit so vielen Hunden unter einem „Dach“ leben zu müssen. Doch daraufhin ergab sich für die Hündin schnell eine Möglichkeit, endlich nach Österreich zu einer Familie zu reisen. Eine ganz ganz liebe Adoptantin hatte sich so sehr in Charline verliebt und am 22.01.2024 durfte sie dann ihre Reise antreten. Die „Übergabe“ von Charline an die neue Familie war sehr emotional und einige Tränen flossen. Und für Charline beginnt nun ein neuer Lebensabschnitt!
Wir sind unendlich dankbar für Menschen wie Sebastian und liebevolle AdoptantInnen wie diese – leb los kleine Charline und genieß dein Leben!!